Heinrich Leonard

Feuer – das ist Anfang des vergangenen Jahrhunderts weit stärker als heute eine Existenz gefährdende Gefahr. Denn Löschen ist zu der Zeit noch immer mühselige und oft vergebliche Handarbeit. Eimerweise muss das Wasser herangeschafft werden. Um das Löschwesen neu zu ordnen, erlässt der königliche Ober-Präsident zu Hannover, Konstantin Graf zu Stolberg-Wernigerode, am 16. Juli 1901 eine neue Polizei-Verordnung. Sie schreibt zum 1. April 1902 in allen Gemeinden der Provinz Hannover, die keine Berufs- oder Freiwillige Feuerwehr haben, den Aufbau von Pflicht-Feuerwehren vor. Damit würden auch in Lühnde alle Bürger zwischen 17 und 55 Jahren verpflichtet, in die Feuerwehr einzutreten, sofern sie nicht Beamte, Soldaten, Gendarmen, Geistliche, Ärzte, Apotheker, Lehrer oder Schüler sind. Um diesen Zwang zu vermeiden, gründen Lühnder Bürger am 25. Januar 1902 eine Freiwillige Feuerwehr. Nach ihren Statuten ist sie „ein Verein gesunder und kräftiger Männer”, die sich auf mindestens drei Jahre ,,zur unentgeltlichen Dienstleistung” verpflichten müssen und „vor der Front des Korps mittelst Handschlags verpflichtet” werden. „Jeder unbescholtene, gesunde männliche Bewohner der Gemeinde Lühnde im Alter von 20 bis 50 Jahren kann der freiwilligen Feuerwehr als Mitglied beitreten.” Ihr erster Hauptmann ist Heinrich Leonhardt.

Zackige Exerzierübungen stehen im Februar und März des Jahres 1902 auf der Tagesordnung der neugegründeten Lühnder Feuerwehr. Am 16. März 1902 ruft Hauptmann Heinrich Leonhardt seine 54 Feuerwehrleute zu einer großen öffentlichen Übung am alten Schulteich zusammen.

August Meyer, 1905

So schildert es August Meyer, der 1905 als 19-jähriger in die Wehr eingetreten ist, im Juli 1977 zum 75-jährigen Jubiläum in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung. Auch die folgenden Zitate stammen aus diesem Bericht.

Lederne Feuereimer flogen durch der Hände Ianger Kette, wenn am Teich geübt wurde. Übrigens musste jeder Lühnder Hausbesitzer einen Iedernen Feuereimer nachweisen können.

August Meyer, 1905

Modernstes Gerät der Wehr ist eine Handdruckspritze von 1863, die noch 1975 öffentlich vorgeführt wird. „Die erste Handdruckspritze ging sehr schwer”, so August Meyer. 1905 erhält die Wehr eine neue Handdruckspritze. Die Mühsal bleibt. Auch an ihr „musste laufend abgewechselt werden”.

GIeich fünf ausgebildete Hornisten standen der Lühnder Wehr im ersten Jahr zur Verfügung; W. Bruns, H. Winter, A. Nawo, A. Köhler und K. Grefe. Wenn diese Alarm bliesen, waren in Minutenschnelle zwei Spritzenzüge, ein Steigerzug und eine komplette Wachmannschaft einsatzbereit.

August Meyer, 1905
August Meyer

Die Spritzenzüge müssen das Wasser heranschaffen, die Steiger im Fall der Fälle aufs Dach. Die Männer der Wachmannschaft – vorzugsweise die älteren und zur Bedienung der Spritzen weniger geeigneten Mitglieder (aus den Statuten) – sind zuständig für den Ordnungsdienst und sichern die Brandorte vor Plünderung.

ErstmaIs bliesen die Hornisten am 7. August des Jahres 1902 morgens um 3 Uhr zum Alarm.

August Meyer, 1905

In Bolzum steht die Scheune des Ortsvorstehers Liehe in Flammen. Das Kind eines Arbeiters hat mit Streichhölzern gespielt. Neun Wehren rücken an. Die Scheune ist nicht zu retten. Drei Schweine, Gerste, Heu, Stroh und Klee verbrennen. (Aus der Hildesheimer Zeitung vom 9. August 1902).

Kaum hatte man das Weihnachtsfest 1902 verdaut, als am 27. Dezember frühmorgens wieder Alarm im Dorf geblasen wurde. Das Gasthaus Schütte in Algermissen brannte Iichterloh. Im Nu waren die 14 Pferde vor die Spritze gespannt und es ging im Galopp in Richtung AIgermissen. Am Dorfausgang hängte sich die Deichsel aus. Kurzentschlossen zogen die Lühnder ihre Spritze mit der Hand und waren sogar noch als zweite Wehr an der Brandstelle. Wenige Jahre später folgte ein ähnliches Malheur, als wieder ein Großfeuer in Algermissen wütete. Die Pferde von Wilhelm Rautenberg rissen die Deichsel heraus und Iiefen aufgeschreckt mit den Reitern durch die Feldmark. Die Spritze überschlug sich mehrmals und blieb im Graben Iiegen. Die Feuerwehrleute schaffen die stark demolierte Handdruckspritze dennoch zum Brandherd, wo sie für die Wasserbeschaffung so sehr gebraucht wurde.

August Meyer, 1905

Die Lühnder Wehr ist flink. Bei einer Übung kann innerhalb von vier Minuten Wasser gegeben werden, berichtet August Beitzen 1952 beim 50-jährigen Jubiläum aus einem Protokoll vom 2. August 1903.

Leider ist das erste Protokollbuch verschollen. Erhalten sind nur noch Aufzeichnungen ab 1920. Auf sie stützt sich die folgende Chronik. Ich danke allen, die meine Fragen geduldig beantwortet haben und wünsche der Wehr weiterhin viel Erfolg, gute Kameradschaft und gewissenhafte Schriftführer, die auch die kommenden Ereignisse für die Nachwelt erhalten.

Dirk Racke


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